Micha Augstein, Gründer und Geschäftsführer PARCEL.ONE, erklärt im folgenden Beitrag, welche Chancen die Coronakrise für Unternehmen bieten kann.

Dominosteine fallen
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Es fühlt sich ein wenig so an wie vor knapp 91 Jahren während der „großen Depression“. Damals stürzte die Weltwirtschaft kopfüber in eine globale Krise. Die Parallelen zu 1929 sind offensichtlich. Für die produzierende beziehungsweise assemblierte B2B-Industrie ein auf so vielen Ebenen dramatisches Szenario. Ganze Wirtschaftszweige sind von externen Komponenten sowie Bauteilen abhängig und auf Zulieferer-Produktionen angewiesen. Ein Branchen-Sterben ist da leider nicht mehr ausgeschlossen. Gerade erst debattierten in Brüssel die Finanzminister der Europäischen Union gemeinsam über Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

An der Zukunft basteln und Sicherheiten schaffen

Lockdown. Shutdown. Social Distancing. Nichts geht mehr. Fast. Der stationäre Präsenzhandel pausiert mehr oder weniger ausnahmslos. Viele Händler und Unternehmen sind in ihrer Existenz bedroht, wurden ihrer (finanziellen) Lebensgrundlage vom Staat beraubt. 

Zumindest etwas weniger gelähmt durch COVID-19 zeigt sich der E-Commerce-Sektor. Geshoppt wird schließlich immer – auch im Krisenmodus. Autark, orts- und zeitunabhängig. Wenn man bedenkt, dass Online-Surfen und Kaufen aktuell womöglich die einzige Chance auf etwas Normalität und Konstanz suggerieren … 

Sicherlich ist der eigene Webshop kein Projekt für eine „Nacht- und Nebelaktion“. Das braucht seine Zeit. Dennoch sollten gerade Einzelhändler ohne Onlinepräsenz zumindest mal temporär den Vertrieb über Marktplätze intern diskutieren. Was definitiv passieren muss, ist so viele Lehren wie möglich aus der Situation ableiten und entsprechende Konsequenzen ziehen. Auf Basis der gesammelten Insights dann Planspiele und Blaupausen entwerfen, diese durchtakten und „beten“ (in der Krise finden unglaubliche viele Menschen zu Gott), niemals eines dieser Modelle anwenden zu müssen.

Alternative Roadmaps recherchieren

Okay, Leistungsträger E-Commerce. Was aber passiert nach dem Checkout-Prozess? Aus den Augen aus dem Sinn? Eben nicht. Die letzte Meile ist ein entscheidender Multiplikator entlang der Customer Journey – heute mehr denn je. Dabei muss sich das Logistik-Ressort den Umständen ebenso anpassen. Prozesse, Services, vor allem Roadmaps sowie Distribution und Routenmanagement müssen teilweise komplett neu strukturiert werden.

Sendungsströmungen innerhalb der EU sind unproblematisch. Es kommt zu Verzögerungen, mehr als früher, keine Frage. Staus müssen speziell beim Cross-Border-Shipping einkalkuliert werden. Das ist dann aber nun mal so. Mund abputzen und weiter geht’s.

Kritisch wird’s bei Ladungen nach Übersee. Die Frachträume in Passagierflugzeugen fallen weg. Die freien Kapazitäten der unabhängigen (Multi-)Carrier und Expressdienstleister mit eigenem Flugpark werden an den Meistbietenden versteigert. Bleibt noch der Seeweg. Aus den üblichen 14 Tagen via Luftfracht werden so schnell mal zwei Monate mit dem Kutter. 

Transparentes Informationsmanagement

„Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“ Die vermeintliche Flapsigkeit Adenauers passt auch heuer wie die Faust auf’s Auge. Kein Tag ohne TV-Elefantenrunde, Sondersendung oder Experten-Clash. Vieles ist aber mit Blick in die Zukunft wenige Stunden später nicht mehr aktuell und überholt. „… nichts hindert mich, weiser zu werden“, lautet allerdings das vollständige Zitat – und auch das könnte derzeit kaum jemand treffender formulieren. Soll heißen, dass Bestimmungen und Regelwerk vom Vortag nicht unbedingt auch morgen noch aussagekräftig sind. So zum Beispiel das hin und her in der Bewertung von einfachen Schutzmaßnahmen. Selbst das Robert-Koch-Institut kann aufgrund der schlechten Datenlage beziehungsweise -auswertung kaum belastbare Erkenntnisgewinne oder Empfehlungen publizieren. Und das RKI ist immerhin die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und –prävention. Was also tun?

Das was wir wissen ist, wie sich das Virus auf Oberflächen verhält. Je nach Verpackungsart liegt die Dekontaminations-Spanne laut einer medrxiv-Studie für keimfreie Sendungen zwischen 24 Stunden (Kartonagen) und 72 Stunden (Plastikoberflächen). Und genau das sollten auch meine Kunden auf dem Zettel haben. Als Händler muss ich dahingehend meine Hausaufgaben machen: Wie ist die Gefahrenlage? Welche Maßnahmen werden getroffen? Wie und über welche Kanäle kann ich meine Kunden informieren und auf dem Laufenden halten?

Kooperationspartner kritisch bewerten

Social Distancing ist ein sehr sensibles Thema. Besonders in Sachen Zustellung und Annahme. Kontaktos ist alternativlos. Dafür müssen Infrastrukturen ausgebaut sowie Personal und Protagonisten entsprechend geschult werden.

Ausbildung und Infrastruktur liegen im Verantwortungsbereich der Logistiker. Das „wer mit wem“ dagegen entscheidet in letzter Instanz das Unternehmen selbst. Kann der Logistikpartner meines Vertrauens ein verantwortungsbewusstes Miteinander auf höchstem Niveau gewährleisten? By the way: Die Kategorisierung von Risikogebieten ist mittlerweile obsolet. COVID-19 ist eine globale Katastrophe und kennt keine Staatsgrenzen.

Systemrelevante Maßnahmen adaptieren

Panikmache und Fehlinformationen sind wenig hilfreich. Einfach mal Fenster auf und … tief durchpusten. Das Momentum nutzen. Alles einmal auf Links ziehen, hinterfragen, ausmisten und den „TÜV« checken. Wenn nicht jetzt, wann dann? Fast alles hat ein Verfallsdatum. Verträge kündigen oder neu verhandeln, Prozessoptimierung und Marktanalysen, digital transformieren, neue Absatzgebiete erschließen und Cross-Border-Optionen recherchieren. Alternative Strategien entwickeln, in Sachen Multi- und Omnichannel sukzessive nachrüsten. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.


Micha Augstein

Über den Autor: Micha Augstein ist Gründer und Geschäftsführer von PARCEL.ONE, dem Multi-Carrier-Logistiker für den grenzüberschreitenden Online-Handel. Seit 2006 investiert er in verschiedene Logistiklösungen und wandelt Ideen in Firmenkonzepte oder Unternehmen um. Zuvor war er im Großhandel für verschiedene Fashion-Marken tätig.

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Geschrieben von Gastautor




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