Wie StartUps helfen können, Lieferketten zu digitalisieren und diese auch in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten, erklärt Felix Plapperer von SquareOne im Interview.

Lieferketten Konzept
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Logistik Watchblog: Feststeckende Frachter, Pandemie, Lockdown – das Thema Lieferketten hat Unternehmen in den letzten Jahren vor große Herausforderungen gestellt. Was sind die aktuell größten Bedrohungen von Lieferketten und wie können Händler/Unternehmen sich dagegen wappnen?

Felix Plapperer: Eine Krise wird in der Regel als „vorübergehender Zustand“ bezeichnet – für die Verantwortlichen in Einkauf und Supply Chain hat sich die Krise in den letzten Jahren jedoch als Dauerzustand etabliert. Um dieser Herausforderung Herr zu werden, ist die Nutzung digitaler Technologien dringlicher geworden als jemals zuvor – denn diese erlauben es, den Anforderungen in dieser turbulenten Gegenwart effektiv zu begegnen: Volatile Preise, erschwerte Lieferwege oder der Ausfall ganzer Zuliefercluster erfordert eine deutlich effektivere Kommunikations- und Reaktionsfähigkeit entlang von Lieferketten. Der ineffiziente und fehleranfällige Austausch von E-Mails oder (teils gar analogen) Dokumenten liegt zunehmend weniger im Rahmen des ökonomisch Leistbaren. 

Neben einer besseren Reaktionsfähigkeit ist außerdem eine vorausschauende Planung erforderlich, welche u. a. ein fundiertes Risikomanagement umfasst. Dies wiederum erfordert die effektive Erfassung und intelligente Nutzung unterschiedlicher Daten – eine Aufgabe, die ohne Einsatz moderner Technologien nicht effektiv umzusetzen ist. Die gute Nachricht: In den vergangenen Jahren haben sich dutzende Unternehmen entwickelt, die es niederschwellig und oft mithilfe von Integrationen in bestehende Systemlandschaften ermöglichen, Prozesse im Einkauf und entlang der Lieferketten deutlich effizienter und intelligenter zu gestalten. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die multiplen Krisen unserer Zeit einen Erdrutsch in Bezug auf die Digitalisierung von Lieferketten auslösen werden. 

Müssen sich Unternehmen bei der Materialbeschaffung umstellen (z. B. weniger Waren aus dem Ausland beziehen), um in Zukunft das Risiko von Materialknappheit und den Zusammenbruch der Lieferkette zu verhindern?

Insbesondere im Bereich direkter Materialien ist das oft unterschätzte Risiko einer „single sourcing Strategie“ spätestens seit Beginn der Pandemie 2020 offensichtlich geworden. Die Etablierung von „Multi-sourcing“-Strategien sowie „Nearshoring“ oder „Friendshoring“-Ansätzen ist seit mehreren Jahren in vollem Gange. Die Identifikation und Bewertung neuer Lieferanten sowie die effiziente Etablierung neuer Geschäftsbeziehungen mit denselben verursacht in diesem Kontext allerdings oft stark unterschätzte Aufwände und Kosten. Dies ist ein weiterer Bereich, in welchem der Einsatz digitaler Technologien dazu führen kann, Aufwände zu reduzieren und gleichzeitig die Ergebnisse zu verbessern. 

Als Experte und Investor von jungen Tech-Unternehmen stecken Sie mitten in der Materie drin. Können Sie drei StartUps empfehlen, die das Leben von Unternehmen in Zukunft einfacher machen und können Sie kurz deren Ansatz/Technik erklären?

Im Bereich SupplyChainTech und ProcureTech hat sich in den letzten Jahren ein breites Feld interessanter Unternehmen und Technologien entwickelt – als Frühphasen-Investor haben wir ein recht gutes und aktuelles Bild zu den jeweiligen StartUps und deren geschäftlicher Entwicklung am Markt. Besonders interessant sind in unseren Augen die Firmen Lhotse, Procuros oder Keelvar.

  • Lhotse: Die Firma aus Berlin ermöglicht es Unternehmen, den Austausch zwischen Fachbereichen und Einkauf durch sogenannte „Intake Forms“ deutlich effizienter zu gestalten. So können die „Flut an Freitextanfragen“ und Maverick Spend deutlich reduziert und Kapazitäten im Einkauf freigesetzt werden. Die Softwarelösung ist vollumfänglich in Bestandssysteme wie SAP oder SAP Ariba integrierbar – zu den Kunden gehören Unternehmen wie die FUNKE Medien Gruppe, E.On oder Fraport.

  • Procuros: Die Firma aus Hamburg ermöglicht den einfachen Austausch von Daten zwischen den ERP-Systemen von Handelspartnern sowie das Triggern von Workflow-Automatisierungen, welche auf den jeweils ausgetauschten Daten aufsetzen. Zu den Kunden gehören Firmen wie Yfood, Rewe, DM oder Koro.

  • Keelvar: Die Firma aus Irland (teil-)automatisiert RfX Prozesse im Einkauf mit sogenannten Sourcing Bots. Dies sind intelligente Systeme, welche kategoriespezifische Einkaufsaufträge vollautomatisiert ausführen, indem für Ausschreibungen die jeweils passenden Lieferanten ausgewählt und eingeladen werden. Anschließend werden die abgegebenen Angebote entlang mehrerer Dimensionen miteinander verglichen und bewertet. Zu den Kunden gehören Firmen wie Siemens, Novartis, Inditex, Henkel, Coupang oder Mercedes Benz.

Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass viele Unternehmen mit dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz noch überfordert sind. Wie stehen Sie zu dem Gesetz und welche Vorteile bringt es für Unternehmen mit sich?

Das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz stellt viele Unternehmen – insbesondere kleine und mittelgroße – vor enorme und teils noch ungeklärte Herausforderungen. Doch auch hier gibt es eine Reihe an Lösungen aus der StartUp-Welt (beispielsweise Prewave), welche mithilfe der intelligenten Nutzung von Daten und Automatisierungsworkflows dabei helfen, den jeweiligen Herausforderungen zu begegnen. Angesichts von Gesetzen wie diesem möchte man fast meinen, dass der Regulator ein Konjunkturprogramm für die Innovationswirtschaft aufgelegt hat. 


Über Felix Plapperer: Felix Plapperer ist Partner beim Berliner Venture Capital SquareOne. 2019 stieß er zum Unternehmen und etablierte sich in kurzer Zeit als kompetenter Investor, insbesondere in den Bereichen Supply Chain- & ProcureTech. Er hat viele von SquareOne’s Investitionen in vielversprechende Unternehmen in ganz Europa geleitet oder maßgeblich unterstützt, wie z. B. Keelvar, Procuros, VUE Storefront, Lhotse, PartsCloud, Anytype oder Pyne. Vor seiner Zeit bei SquareOne arbeitete der Münchner ein Jahr als StartUp-Operator in Asien bei Lazada sowie mehrere Jahre als Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group.

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Geschrieben von Corinna Flemming