Kay Schiebur, der bei der Otto Group als Konzern-Vorstand Services die Steuerung der nationalen und internationalen Logistikaktivitäten verantwortet, erklärt im zweiten Teil seines DVZ-Interviews, wie die Pläne von Hermes auf der letzten Meile genau aussehen und spricht dabei auch ein Standard- und Premiummodell an.

Hermes Lkw im Wald
© Otto Group

Bereits im ersten Teil des Interviews mit der Deutschen Verkehrs-Zeitung gab Kay Schiebur Auskunft über die Pläne von Hermes. Schiebur ist seit gut 100 Tagen als Konzern-Vorstand „Services“ bei der Otto Group und steuert entsprechend seiner Position die gesamten Logistik-Aktivitäten der Gruppe.

Während Schiebur im ersten Interview teilweise recht wage in seinen Aussagen blieb, wird er nun gegenüber der Deutschen Verkehrs-Zeitung konkreter – vor allem, was die Pläne auf der letzten Meile angeht. Auf die Frage, welche Konzepte Hermes bei der Paketzustellung beim Empfänger verfolgt, weicht Schiebur ein Stück aus und verweist auf das europäische Ausland. Demnach unterscheide sich beispielsweise das Geschäftsmodell von Hermes Frankreich bei der Belieferung. In Frankreich setzt man vielmehr auf Belieferungspunkte und weniger auf die Haustürzustellung. „Damit erreichen Sie eine deutlich bessere Bündelung verschiedener Empfänger auf eine einzelne Adresse“, erklärt er.

Standard- und Premiummodell für die letzte Meile

Mit Blick auf Deutschland und eine konsolidierte Paketzustellung verweist Schiebur auf die Hermes-Paketshops, deren Anzahl mittelfristig auf 20.000 Stück erweitert werden soll. Er ist der Ansicht, dass die Shops für den Konsumenten „ein wichtiges ergänzendes Angebot“ darstellen, wenn es darum geht, „den individuellen Wünschen Rechnung zu tragen“. Da der Paketshop seiner Meinung nach an Bedeutung beim Verbraucher zunehmen wird, will man weiter in das Shopmodell investieren. Allerdings hebt er hervor, dass es „künftig neben der Zustellung an die Haustür nicht die eine Lösung geben“ wird, „um dem boomenden Mengenwachstum Rechnung zu tragen.“ Viel mehr will Hermes „deutlich mehr Facetten anbieten“ und dem Konsumenten die Wahl lassen, „wie er sein Paket bekommen möchte.“

Dennoch werden die Pläne Folgen haben und wahrscheinlich in einem unterschiedlichen Preismodell münden. „Bei Hermes Germany wird das Angebot stärker nach Lieferzeit und nach Lieferort differenziert und in ein Standard- und in ein Premiummodell überführt werden“, erklärt er. Diese Entwicklung kommt dabei nicht sonderlich überraschend, bei Hermes wird schon lang darüber diskutiert. Das Stichwort ist hier ganz klar „Produktdifferenzierung“. Demnach will Hermes neben dem „zuverlässigen 24-Stunden-Service“ verstärkt in „zeitgebundene und in Premiumprodukte“ investieren. Dafür soll unter anderem die Tochter Liefery, die sehr stark in den urbanen Räumen die Themen Same-Day- oder Next-Day-Belieferung mit späten Cut-off-Zeiten realisiert, stärker eingebunden werden.

Fahrermangel: Mehr Geld und mehr Wertschätzung

Erneut ist das Thema Fahrermangel Thema des Interviews. Die KEP-Studie 2018 des BIEK fand heraus, dass bei den Unternehmen des KEP-Marktes 2017 insgesamt etwa 229.600 Mitarbeiter (Vollzeit, Teilzeit, Aushilfen) beschäftigt waren. Die Prognose für 2022 sieht zudem einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf von bis zu 40.000 Beschäftigten vor – und das trotz des Beschäftigungsaufbaus der vergangenen zwei Jahre um 20.000 Beschäftigte. Schiebur geht sogar noch weiter und erklärt: „Bis 2025 werden allein im Bereich Nahverkehr, Auslieferung, Kurierdienste 100.000 Fahrer fehlen.“ Entsprechend ist der Fahrermangel ein Problem, dass die komplette Branche betrifft.

Für Schiebur ist in diesem Zusammenhang auch das Thema Wertschätzung gegenüber den Paketboten besonders wichtig. „Leider ist der Respekt vor dieser Dienstleistung und auch vor den Menschen, die diese harte Arbeit vollbringen, ein Stück weit abhanden gekommen“, resümiert er. Er selbst hat großen Respekt vor der täglich erbrachten Leistung der Fahrer. „Wenn Sie selbst mal, wie ich jetzt im Rahmen der ersten 100 Tage bei der Otto Group, in Berlin im Altbau ohne Fahrstuhl in den 4. Stock oder in den 3. Hinterhof ohne entsprechende Klingelschilder ausliefern müssen, dann wissen Sie, was die Kollegen leisten. Das Geschäft versteht besser, wer dicht an den Fahrern ist, die für uns das Rückgrat der Leistungserbringung sind.“ Entsprechend versteht er das Thema Fahrerentlohnung als extrem wichtig, um Ruhe in den Markt zu bekommen und die Fluktuation zu minimieren. Doch Geld ist nicht alles. Es geht auch darum, welche IT-Tools den Fahrern zur Verfügung gestellt werden oder das Onboarding neuer Fahrer zu erleichtern.

Amazon: Freund oder Feind?

Wenig überraschend ist auch Amazon erneut Thema. Erneut beteuert Schiebur, dass Amazon für Hermes „ein geschätzter Großkunde“ ist, jedoch „nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ Der Anteil an Amazon-Sendungen macht bei Hermes um die 20 Prozent aus und liegt damit auf einem vergleichbaren Niveau wie bei der DHL. Auch wenn der Sendungsanteil in absoluten Zahlen wachsen soll, soll der relative Amazon-Anteil in der bisherigen Größenordnung bleiben, da auch die Geschäfte der anderen Partner und natürlich die der Otto Group entsprechend wachsen werden. Die Otto-Gruppe macht rund ein Drittel des Volumens von Hermes aus. Schiebur macht entsprechend deutlich, dass man bei Amazon von einem geschätzten Partner spricht, „aber sicherlich nicht von einer Abhängigkeit.“

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Geschrieben von Julia Ptock